Pressestimmen
»Der heilige Geist weht, wo er will«
Die Lehrerin Ulrike Schuster verkauft nach der Arbeit in ihrem Laden »Ave Maria« Andachtsutensilien – denn Jesus oder Maria, meint die 40-Jährige, müssten für jeden erschwinglich sein.
FTD Wie kamen Sie auf die Idee, im protestantischen Berlin katholische Anbetungsartikel zu verkaufen?
Ulrike Schuster Der heilige Geist weht, wo er will! Den Berlinern war das anfangs fremd: Manche dachten schon, es handelt sich um einen Sadomaso-Shop, weil sie »Devotionalien« lasen, und das war ihnen kein Begriff. Sie assoziierten damit »devot« – da gab es dann häufiger lustige Szenen.
FTD Was für Kunden haben Sie?
Schuster Viele sind gläubige Katholiken – aber nicht alle. Junge Frauen zum Beispiel kaufen Rosenkränze, mit denen sie in die Disco gehen. Ein Magazin hatte nämlich geschrieben, er sei ein Lifestyle-Accessoire! Seitdem haben schon sehr viele Rosenkränze gekauft, am liebsten fluoreszierende. Es kommen aber auch Tätowierer, die Andachtsbildchen suchen als Vorlagen für ihre Tattoos. Und Gruftis, die wollen schwarze Kerzen. Andere junge Menschen kaufen auch unsere poppigen T-Shirts oder unsere 3D-Postkarten mit Jesus drauf.
FTD Wie sieht denn ein Verkaufsgespräch bei Ihnen aus?
Schuster Einmal habe ich einem jungen Mann von der Tradition des Rosenkranzes erzählt, und der hat dann angefangen, den Rosenkranz zu beten, ein junger Mann, von dem man das nie denken würde. Der hat sich dann total damit beschäftigt und schätzt jetzt das Gebet – Gottes Wege sind unergründlich! Oft tragen mir die Kunden auch ein Problem vor, und ich empfehle ihnen dann einen zuständigen Heiligen, zu dem sie beten können. Bei Prüfungsängsten etwa oder Liebeskummer empfehle ich Katharina von Siena und bei Problemen mit dem Computer Isidor von Sevilla. Der ist seit 2001 der Schutzpatron des Internets, den gibt es in Form eines Aufklebers.
FTD Was haben Sie denn für Fußballfans im Angebot?
Schuster Ich habe einen Fußball, der ist handgenäht und garantiert keine Kinderarbeit. Mit Sprüchen drauf. Zum Beispiel von Bischof Hengsbach: »Nicht Defensive, Offensive ist die Sache der Christen.« Oder Oliver Kahn: »Das mit dem Fußballgott ist Blödsinn. Es gibt nur einen Gott, und der hat mit Fußball nichts zu tun.«
Interview: Vera Görgen Financial Times Deutschland, 07.07.2006
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Im Bund mit Maria und Josef
Von Baden-Würtemberg nach Berlin (4): Dieter Funk, Devotionalienhändler und Kneipenbesitzer
Ein wenig ist es, als wäre man gar nicht in Berlin. Ein wenig ist es im Laden von Dieter Funk, als wäre man in Fatima oder in Lourdes, in Tschenstochau oder doch wenigstens in Altötting. Weihrauchtränen und -harze in allen Farbtönen von Bernsteingelb bis Rübensirupschwarz lagern in schweren Flaschen und Gläsern. Der Teufel würde sich niemals zur Tür hereintrauen, in solch einer Unzahl von Varianten wartet der Erzengel Michael hier mit seinem Schwert auf ihn. Wenn doch, würde er von allen Seiten mit den militant-sanften Blicken der Maria Muttergottes erledigt, die hier in Sandstein, Glas oder Ebenholz zu haben ist.
Dieter Funk verkauft Devotionalien, mitten in der Stadt, in der nur ein Drittel der Einwohner einer christlichen Konfession angehören, mitten auf der Potsdamer Straße, dem schäbigen Hinterhof des Potsdamer Platzes, wo die Gebetskettchen in den Händen vorbeischlendernder Männer das Band zu Allah demonstrieren.
Dass Funk einem Trend gefolgt wäre, als er 1996 mit seiner Geschäftspartnerin den Laden eröffnete, kann man also wirklich nicht sagen. Und wirtschaftlich war die Idee auch nicht unbedingt die beste. Aber innendrin, da hat sie dem 48-jährigen Rottweiler gut getan. "Mir bedeuten die Sachen etwas, die hier stehen", sagt Funk. "Mit der Kirche hab ich immer Glück gehabt."
Er gehört nicht zu den Exilschwaben, die ein Reflex der Flucht vor der katholisch-kleinstädtischen Enge ins vermeintlich weltstädtische Berlin getrieben hat.
Er kam zum Studium an der Film- und Fernsehakademie - angenommen wurde er wegen einer Geschichte, die auch über einen Laden erzählte. Es sollte um Liebe gehen, so die Aufgabe. Da fiel Funk seine Großmutter ein, die im rauen Schwarzwald einen kleinen Laden hatte, für Lebensmittel, so bescheiden, dass schon Dosenspargel unter Delikatesse firmierten. Nahebei lag eine Nervenheilanstalt, und von dort kam regelmäßig ein Mann, "so riesig wie Pan Tau", sagt Funk. Der sprach nicht viel, aber er kaufte immer die seltsamsten Dinge, die keiner brauchte. So wie Dosenspargel eben. Als Funks Oma starb, kam Pan Tau noch einmal und bat, sich den Laden ansehen zu dürfen. Dann nahm er sich das Leben. "Er war vielleicht auf seine Art in sie verliebt."
Mit der Geschichte wurde Funk an der Akademie angenommen und genoss das 80er-Jahre-Herr-Lehmann-Berlin. Auch das Filmemachen war großartig, bis in die Neunziger arbeitete er als Regisseur, machte Dokumentarfilme und Spielfilme wie "Amaurose" und "Unter dem Berg" mit Martina Gedeck und Otto Sander. Aber das Filmemachen war auf Dauer zu viel Freiheit und zu viel Ungewissheit für Funk, zu wenig Sinnsuche vielleicht und auch - ("womöglich, weil ich so sparsam erzogen bin") - ein Geschäft, bei dem ihm angesichts sorglos verpulverter Millionen manchmal Zweifel daran kamen, ob es nun wirklich notwendig war, dass die Ausstatterin aus Hamburg mit 25 Kostümen für eine einzige Szene eingeflogen wurde.
Etwas Kontinuierliches wollte er machen. Und allen, die ihn fragen, warum er das mit den Filmen gelassen hat, hält er entgegen, dass es doch keinen Unterschied darin gebe, was man tue, wenn man es nur mit Liebe tue.
Seit eineinhalb Jahren hat Funk noch ein zweites Projekt, das er mit Liebe und drei Kompagnons gestartet hat. Neben seinem Laden liegt seine Kneipe, die Joseph-Roth-Diele, die so heißt, weil der Journalist für kurze Zeit hier lebte. Jetzt schmücken Roth-Texte die Wände, es kommen Künstler, Filmemacher, Schauspieler und Leute aus dem Kiez. Und manchmal kommt auch der Herr Pfarrer, so wie neulich. Da hat er eine Glocke gesegnet, die aus einer alten Schlosserei kommt und jetzt für den last call am Abend über dem Eingang hängt. Weihwasser gab es reichlich - nebenan in einer großen Schale.
Katja Bauer Stuttgarter Zeitung, 03.01.2004
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Alle Heiligen von Schöneberg
Madonnen, Rosenkränze,Weihrauch -"Ave Maria" bietet viel Frommes in Berlin
Der Duft von Weihrauch erfüllt den Raum, leuchtende Madonnen erhellen dunkle Wände, große brennende Kerzen geben Licht und Wärme, im Hintergrund erklingt sakrale Musik, die zum Meditieren einlädt. Ein handgeschriebenes Werbeblatt erklärt den Besuchern bescheiden: "Wir sind ein kleines Devotionalien-Geschäft, das sich dennoch große Mühe gibt."
Wer das anziehende Geschäft "Ave Maria" an der Potsdamer Straße im Berliner Stadtteil Schöneberg, nur wenige hundert Meter vom betriebsamen Potsdamer Platz entfernt, zum ersten Mal betritt, mag verwundert sein über die vielen Madonnen, Rosenkränze, Kruzifixe, Heiligenbildchen, alles Dinge, die man eher in den Wallfahrtsorten und Pilgerstätten wie Altötting oder Lourdes erwartet.
Knallbunte T-Shirts mit dem Christus-Motiv, himmelblaue Marien-Figuren in Größen zwischen zehn Zentimetern und eineinhalb Metern, Ikonen aus Osteuropa, Kerzen mit dem Konterfei des Papstes, von Pater Pio und von anderen Heiligen stehen ebenso im Angebot wie große Altarkerzen, Weihrauchfässchen und exotische Räucherharze aller Schattierungen.
40 verschiedene Sorten Weihrauch bieten die beiden Geschäftsinhaber Ulrike Schuster und Dieter Funk an, darunter Sorten wie eine Nazaret-Weihrauchmischung und eine Gabriel-Mischung. Myrrhe aus Somalia wird grammweise verpackt.
Was gerade nicht auf Lager ist, kann bestellt werden. "Wir geben uns größte Mühe, den Wünschen unserer Kunden nachzukommen", sagt der 47-jährige Dieter Funk.
Vor knapp sieben Jahren haben die beiden bekennenden Katholiken und aus Süddeutschland stammenden Ulrike Schuster und Dieter Funk den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. "Ich wollte eine andere Art von Leben führen", sagt der gelernte Film-Regisseur Funk, der seine Marien-Frömmigkeit von der Mutter "mitbekommen" hat.
Die Idee zu einem Devotionalien laden hatten die beiden schon lange, doch fehlte zunächst das Kapital, meint die 37-jährige Ulrike Schuster, die noch mit einer halben Stelle am Berliner Jesuitenkolleg Religion, Geschichte und Latein unterrichtet.
"Reich werden wir nicht. Aber wir kommen über die Runden", sagt Funk in ehrlicher Bescheidenheit. Um das Sortiment zu erweitern, bietet Ave Maria seit einiger Zeit auch religiöse Literatur an. Bücher von Hans Küng, Joseph Ratzinger oder Leonardo Boff finden sich ebenso wie spirituelle Literatur, Kindergebetbücher, Informationen über die Weltreligionen und die Bibel in zahlreichen Übersetzungen.
Die Kundschaft von Ave Maria ist international. Vor allem die großen katholischen Auslandsgemeinden der Hauptstadt wie Polen, Lateinamerikaner, Koreaner und Vietnamesen versorgen sich dort mit den unterschiedlichsten kultischen Gebrauchsgütern. "Für sie sind wir die einzigen in der Stadt, denen wir etwas für ihre religiösen Ausdrucksformen mitgeben können", sagt Funk. Mit den meisten Kunden komme man rasch ins Gespräch. Etwa mit dem evangelischen Pfarrer, der sich in Ave Maria an seine bayerische Heimat erinnert fühlt. Oder den ungarischen Geschäftsmann, der ganz gerührt vor den Ikonen und Heiligenbildern steht, die er von zuhause aus kennt. Eine ältere Frau hat vor kurzem nach der berühmten "Schwarzen Madonna" aus dem polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau gefragt. Gleich unter mehreren Exemplaren konnte sie wählen. Immer öfter wird der Laden von Pfarrern beider Konfessionen aufgesucht, obwohl, wie Funk sagt, "die katholischen uns doch etwas reserviert gegen überstehen ". "So etwas kann man doch nicht verkaufen", meinte einmal ein "aufgeklärter Priester", als er die mit Glühlampen versehenen Madonnen sah. Aber das stört die beiden Verkäufer nicht. "Berlin braucht Heilige. Es gibt eine Sehnsucht nach Vorbildern und Werten, den Wunsch nach einem Kontrast zur extremen Verweltlichung. Deshalb sind wir hier", sagt Ulrike Schuster. Die Stammkunden und zufälligen Besucher geben ihnen recht. So erfahren manche Jugendliche, die einen Rosenkranz kaufen, erst im Laden, dass es sich dabei um eine Gebetskette handelt. Lange Zeit sei der Rosenkranz etwas für alte Leute angesehen worden, heute erfreue er sich gerade bei jungen Menschen großer Beliebtheit.
Die Frage der Konfession spiele dabei keine Rolle. Einige erklärten, sie gehörten keiner Kirche an oder hätten mit Kirche wenig am Hut. "Da sind wir wie Seelsorger, wenn über Gott und den Sinn des Lebens gesprochen wird", sagt Funk.
Johannes Bernard Menschen und Zeiten
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Rosenkranz und Krippe
Das "Ave Maria" in Berlin ist einer der bestsortierten Devotionalienläden Deutschlands
Dreimal glaube ich, eine teure Rarität entdeckt zu haben: Als ich die Ikone in die Hand nehme, merke ich meinen Irrtum sofort, auf der Rückseite prangt ein Firmenstempel.
Dann greife ich nach der Frauenstatue, in ihr erkenne ich die heilige Veronika, denn auf dem Schweißtuch leuchten zwei Blutstropfen als Male ihres Opferwillens. Die Holzfigur ist zwar bereits rissig, doch die Gesichtszüge sind sehr individuell gestaltet, sie kann höchstens 100,150 Jahre alt sein.
Bleibt noch die Bibel. Sacht kratze ich mit dem Fingernagel Rillen in die Patina; der Preis ernüchtert mich schließlich, 100 Euro kostet das Stück. "Sie werden hier keine Kunstwerke und Kostbarkeiten finden", meint Dieter Funk, der Ladeninhaber, entschuldigend. Wer das "Ave Maria" in Berlins Potsdamer Straße betritt, sollte nicht auf antike Pretiosen aus sein, auch wenn der Laden im Bezirk Tiergarten für seine Stammkundschaft so kultig ist wie das "Kaufhaus des Westens" für die Wilmersdorfer Witwen. Zu Recht, gibt es in dem Geschäft doch Dinge, die man im KaDeWe, dem bestsortierten Warenhaus der Hauptstadt, nicht finden wird - von Votivtafeln über Rosenkränze bis hin zu Weihrauch.
Von Adenauer ist der Spruch überliefert, bei Braunschweig beginne für ihn die asiatische Steppe, in Magdeburg ziehe er die Vorhänge im Zugabteil zu und in Berlin fühle er sich wie unter Heiden. Beim letzten Punkt irrte der Alte; Das in der Diaspora liegende Erzbistum zählt immerhin 400 000 Katholiken, während die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg auf 1,3 Millionen kommt. Allerdings mit faulen Kirchgängern, nur 3,5 Prozent gehen zum Gottesdienst.
Für viele Berliner muss die Eröffnung des "Ave Maria" vor sechs Jahren denn auch wie eine zweite Offenbarung gewesen sein. "Vor allem unter den jungen Kunden gibt es etliche, die nicht einmal die Weihnachtsgeschichte kennen. Sie stehen vor der Krippe wie vor einem Puppentheater und suchen den Kasper", sagt Ulrike Schuster, die Geschäftspartnerin von Funk. Sie geht zu einem anderen Regal und weist auf die Votivtafeln: "Häufig werden wir auch gefragt, ob das Kettenanhänger seien." Was nicht heißt, dass das Angebot nicht ernst genommen wird.
Vor allem die vielen ausländischen Kunden sind entzückt, etwa ob der vielen "echten" Weihnachts-Devotionalien. Während im Dezember Berliner Straßenzüge den gleißenden Avenues von Las Vegas ähneln, mit grell geschmückten Fenstern, in denen Schneemänner und Rentiere mit den Augen zwinkern und Tannen wie Leuchttürme aufblitzen, wird man dergleichen im "Ave Maria" nicht finden. Hier leuchten nur die Madonnen- und Herz-Jesu-Figuren in ihren roten oder wahlweise lindblauen Plastikgewändern, für 19 Euro das Stück.
Schuster und Funk sind gläubige Katholiken, ein weltlicher Weihnachtsmann hat in ihrem Devotionalienhandel nichts zu suchen. Was sie verkaufen, muss religiöser und monotheistischer Natur sein. Ob eine Madonna schwanger ist, wie man sie in Peru oft findet, oder ob sie am Rücken einen Saugnapf hat, damit sie an der Frontscheibe als Schutzengel schaukeln kann, ist zweitrangig. Eine Philosophie, für die sie auch den Segen der Kirche haben, seit ein Kaplan alle Räume mit Weihwasser besprenkelt hat. Das war vor fünf Jahren. Heute ist das Fluidum im "Ave Maria" noch betörender, gespeist aus 40 verschiedenen Sorten duftender Baumharze, womit Schuster und Funk eine der größten Weihrauch-Sammlungen nördlich von Rom haben dürften. Auch Kruzifixe hängen in rekordverdächtig hoher Zahl an der Wand, in den Alkoven stapeln sich Bücher, die Dielen knarzen, der Samowar bullert und die Gregorianer schmachten in ihren Elegien.
Über der friedlichen Szenerie segeln Schäfchenwolken, und Birken, die ihre Äste durch die Fensterhöhlen der Klosterruine strecken, scheinen dem Pilger zuzuwinken. Ein Fresko, so naiv, dass man unwillkürlich lächelt.
Nein, Schuster und Funk haben keine Angst vor Kitsch, ob gemalt oder gebastelt oder aus Granulaten gepresst. "Warum auch, in kalten und in feucht-warmen Ländern sind Plastik-Madonnen praktischer. Zudem finden Amerikaner, Asiaten und Südeuropäer unser Sortiment schön."
Deutsche ebenso, sie stellen schon die Hälfte der Kundschaft. Mich eingeschlossen. Als ich vor einer kleinen Krippe stehe, aus weißem glasierten Ton und gestaltet wie ein süditalienisches Bergdorf, bin ich irgendwie angerührt. Ein Gefühl, das die hölzernen Jahresendflügelfiguren aus dem Erzgebirge früher nie hervorgerufen haben.
Bettina Seipp Welt am Sonntag, 08.12.2002
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Madonnen, Rosenkränze und ein Hauch von Buddha
Es riecht nach Weihrauch. In den Regalen Marienstatuen, die im Dunkeln glitzern und leuchten. Die größeren sind auf dem Fußboden angeordnet. Schlanke Madonnen mit Jesuskind und Lilie. Oder mit gefalteten Händen und in schrill-hellblaue Gewänder gehüllt. Milde lächeln sie jede an, die den Laden betritt. Ave Maria heißt dieses seltsame Geschäft. "Diese hier stammen aus Lourdes", beweist der Verkäufer Sachkenntnis, "und diese hier aus Fatima". Das ist wichtig, denn die meisten Kundinnen und Kunden wollen nicht irgendeine Madonna kaufen. Auch der Heilige Antonius, den fromme Katholiken anrufen, wenn sie ihre Schlüssel verlegt haben, ist ein gefragtes Objekt, oder die berühmte "schwarze Madonna" aus dem polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau. Sogar der ein oder andere Buddha ist im Angebot. Keine echten Stücke, die wären auch viel zu teuer. Als die Theologin Ulrike Schuster und ihr Geschäftspartner Dieter Funk vor sechs Jahren den Laden eröffneten, wurden sie noch ausgelacht. Heute stehen sie gut da. "Gerade viele junge Leute sind interessiert an unserem Sortiment", freut sich Dieter Funk. Sie kaufen T-Shirts mit Madonnen- oder Jesus-Bildern drauf, andere suchen nach Rosenkränzen, die sie sich als Schmuck um den Hals hängen, weil sie die wahre Bedeutung dieser Gebetsketten nicht kennen. Aber auch alte Menschen, die sich den frommen Kitsch ins Wohnzimmer stellen, sind Stammgäste bei Ave Maria. Orthodoxe Gemeinden finden hier Kruzifixe für ihre Kirchen oder Madonnen-Bilder für die Ikonostase. Die Ave Maria-Leute besorgen alles, was nachgefragt wird. Und so boomt mitten im weltlichen Berlin, wo Kirche und Religion kaum noch eine Rolle spielen, der Marienkitsch: "Die Menschen trennen sich zwar von der Institution Kirche", glaubt Funk, "sie bewahren sich aber eine Art kindlicher Frömmigkeit."
Monika Herrmann frauen unterwegs, 01.12.2002
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Madonnen, Heilige und Buddha
Es riecht nach Weihrauch. Marienstatuen, die im Dunkeln glitzern und leuchten, stehen in den Regalen. Die größeren sind auf dem Fußboden angeordnet. Schlanke Marien mit Jesuskind und Lilie in schrillhellblauen Gewändern. Milde lächeln sie neugierige Besucher des Ave-Maria-Ladens in der Berliner Potsdamer Straße an. "Diese hier stammen aus Lourdes", erzählt Vlado Sommer, der im Laden aushilft. "Und diese hier aus Fatima."
Die Namen stehen für weltberühmte katholische Wallfahrtsorte. Für die Kunden ist das wichtig, denn sie wollen nicht irgendeine Madonna. Aber auch der Heilige Antonius, den fromme Katholiken anrufen, wenn sie ihre Schlüssel verloren haben, ist ein gefragtes Objekt im Laden. Auch der heilige Georg, der mit dem Drachen kämpft, ist begehrt. Die kleine syrisch-orthodoxe Gemeinde, die gleich gegenüber ihre Kirche hat, bestellte vor kurzem einen Heiligen Georg. Christophorus, der als "Heiliger der Autofahrer" verehrt wird, sei momentan "in", heißt es im Laden. Und zwar in Form von kleinen und größeren Medaillons, die irgendwo im Auto hängen oder kleben. Eine ältere Dame hat vor kurzem nach der berühmten "Schwarzen Madonna" aus dem polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau gefragt. Gleich unter mehreren Exemplaren konnte sie wählen.
Keine echten Stücke gibt es im Laden. Die wären auch viel zu teuer für die Kunden, die im Ave-Maria vorbeischauen. "Viele junge Leute sind sehr interessiert an unserem Sortiment", berichtet Dieter Funk, einer der beiden Laden-Besitzer. Jugendliche kaufen T-Shirts auf denen Madonnen oder Jesus-Bilder prangen. Andere suchen nach Rosenkränzen, die sie sich als Ketten um den Hals hängen, weil sie die wahre Bedeutung dieser Gebetskette nicht kennen. Aber auch alte Menschen, die sich den frommen Kitsch ins Wohnzimmer hängen oder stellen, sind Stammgäste im Ave-Maria.
Immer öfter wird der Laden auch von Pfarrern beider großen Kirchen besucht. Orthodoxe Gemeinden kaufen Madonnen-Bilder für die Ikonostase. Die Ave-Maria-Leute besorgen alles, was sich Kunden wünschen. Denn sie wissen: Im säkularen Berlin, wo Kirche und Religion kaum noch eine Rolle spielt, boomt eine gewisse Sehnsucht nach Spiritualität. Als ob die katholische Theologin Ulrike Schuster das vor rund sechs Jahren geahnt hätte, als sie den Laden zusammen mit Dieter Funk eröffnete. "Berlin braucht Heilige", stellten die beiden damals fest. Und sie behielten recht. Obwohl die Ave-Maria-Gründer anfangs von Freunden und Bekannten ausgelacht wurden, stehen sie heute als Geschäftsleute gut da. "Die Menschen trennen sich zwar von der Institution Kirche, bewahren sich aber eine Art kindlicher Frömmigkeit", hat Dieter Funk beobachtet.
Inzwischen verkauft er nicht nur heiligen Kitsch, sondern auch religiöse Literatur. Bibel und Koran stehen nebeneinander im Regal. Bücher, in denen die Weltreligionen erklärt werden neben kritischen Theologen wie Hans Küng und Leonardo Boff.
Dieter Funk versucht, mit seinen Kunden ins Gespräch zu kommen. Dann stellt er oft fest, dass sie von der offiziellen Kirche enttäuscht sind. "Manchmal ist das wie eine Beichte, die sie hier ablegen", sagt er. Und Funk glaubt den Grund zu kennen: "Unsere Kunden betreten den Laden - im Gegensatz zu einer Kirche - ohne Schwellenangst." Auch Muslime gehören zum Kundenstamm. Mütter beispielsweise, die ihren Töchtern ein Marienmedaillon kaufen.
"Wir verehren Maria sehr", sagt eine junge Muslima, die in dem großen Korb nach einer passenden Medaille sucht. Ihren Kindern hat es inzwischen die buddhistische Wasserschale im Laden angetan. Mit nassen Händen und durch Reiben der Griffe lassen sich Melodien erzeugen. Außerdem fängt das Wasser an zu sprudeln. Maria, Jesus, Buddha und die Heiligen stehen sich im Ave-Maria-Laden jedenfalls nicht im Weg.
Monika Herrmann Christsein Heute, 23.10.2002
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Das Buch zum Rosenkranz
Neben Marienstatuen, Rosenkränzen und Kerzen bietet der Devotionalienladen AVE MARIA seit anderthalb Jahren auch ein Buchprogramm. Das freut die Kunden.
Ave Maria steht unübersehbar über der Eingangstür. Wer den kleinen Laden in der Potsdamer Straße 75 in Berlin-Tiergarten betritt, spürt mit allen Sinnen die etwas andere Einkaufsatmosphäre. Kerzen brennen, es duftet nach Weihrauch, im Hintergrund läuft sakrale Musik. Überall leuchtet und glitzert es. Hier werden nicht nur Kirchenanhänger fündig: Kerzen in allen Größen, Marienstatuen klein und groß, schlicht und kitschig, Rosenkränze, Heiligenbilder und 40 verschiedene Sorten Weihrauch.
"Ich will eine andere Art von Leben", sagte sich vor sechs Jahren der Filmregisseur Dieter Funk und machte sich zusammen mit der Geschichts-, Latein-und Religionslehrerin Ulrike Schuster selbständig. Die Idee hatten die beiden zwar schon lange, doch anfangs fehlte das Kapital. "Wenn man nichts hat", so Ulrike Schuster, "geben einem die Banken nicht einmal einen Gesprächstermin". So hielten die beiden Jungunternehmer das Investitionsvolumen so gering wie möglich und schraubten die Regale aus Paletten von einer benachbarten Druckerei zusammen.
Waren zunächst nur Devotionalien im Programm, so richteten die beiden im November 2000 zusätzlich eine Buchabteilung mit christlichen Büchern ein. Das Medium Buch war der viellesenden Lehrerin Schuster bestens vertraut und nachdem Angebot und Nachfrage bei den Devotionalien wuchsen und sie auf der Buchmesse die Branche beschnuppert hatte, wagte sie sich an ihre Passion: religiöse Bücher. Das Spektrum reicht vom Kindergebetbuch bis zum Kunstband mit religiösen Themen.
Mit den Verlagen wurden lange Zahlungsziele vereinbart. "An einem Grossisten hängen wir nicht dran, das würde die Marge noch vermindern", sagt die Quereinsteigerin. "Wir sind in diesem kleinen Fachbereich hochspezialisiert und da kann uns der Grossist auch nicht immer helfen." Bei den religiösen Verlagen bestellt sie über Vertreter, bei anderen wählt sie die Titel per Katalog aus. Den Bestell Service beim Barsortiment vermisst kaum ein Kunde. Wer bei Ave Maria gezielt einen Titel sucht, kann warten. "Die Kunden sagen, ich komme so gerne zu euch, da ist es nicht von Belang, ob die Bestellung eine oder zwei Wochen dauert."
Die Buchabteilung nimmt mit rund 2000 Titeln knapp die Hälfte der 95 qm Verkaufsfläche ein, 35 - 40 Prozent des Umsatzes entfallen auf den Buchverkauf. Es sind überwiegend junge Männer und Frauen, die hier stöbern. Auch Vertreter der zahlreichen christlichen Kirchen in Berlin decken sich bei Ave Maria ein. Dazu kommen viele Touristen aus aller Welt. In den Reiseführern wird der Laden nämlich als origineller Einkaufstipp erwähnt.
"Unsere Kunden haben sich gefreut", beschreibt Funk die Reaktion auf die Ausweitung des Sortiments. Vor allem nach dem 11. September nahm er ein wachsendes Bedürfnis wahr, sich über Sinnfragen zu informieren. Die Terroranschläge, das hat er in Gesprächen erfahren, haben die Menschen verunsichert und nachdenklich gemacht.
Häufig sind die Kunden mehr Gesprächspartner denn Käufer, das gehört zum Konzept. So erfahren manche Jugendliche, die einen Rosenkranz kaufen, erst im Laden, dass es sich dabei um eine Gebetskette handelt. "Der Rosenkranz, lange Zeit ein Zeichen der Reaktion, der Dummheit, des Leierns, erfreut sich nun gerade bei jungen Leuten wachsender Beliebtheit", hat Ulrike Schuster beobachtet, "aber die Jugendlichen, die heute einen Rosenkranz tragen, weil es als chic gilt, verbinden nichts damit." Im Idealfall nehmen diese dann ein Buch über Rosenkränze mit.
Bei der Sortimentsgestaltung setzt das Ave Maria-Team bewusst auf den Synergieeffekt zwischen Buch und Devotionalien. "Bei vielen ist der christliche Hintergrund einfach nicht mehr da. Häufig kommen Kunden, die eine Taufkerze und Kommunionkerze suchen, und nehmen dann gleich ein Buch zur Erklärung des Sakraments mit." Dass sich Heiligengeschichten besonders gut verkaufen, ist für Ulrike Schuster Ausdruck eines Hungers nach Vorbildern und Werten: "Ein Kontrast zur extremen Profanisierung."
Strategien sind nötig, wenn man sich als kleine Buchhandlung auf dem hart umkämpften Buchmarkt profilieren will. Was also hebt Ave Maria von anderen Buchhandlungen ab? "Ob Rosenkränze oder Bücher, wir geben uns Mühe, die Ware liebevoll zu präsentieren. Deshalb haben wir uns auch eine neue Einteilung in sechzehn Rubriken überlegt." Hierzu gehören die Weltreligionen, religiöse Feste, Bände über Kirchen und Klöster, Engel und Boten Gottes ebenso wie Gebete aus aller Welt und Meditation. Bei den Kinder-und Jugendbüchern (Rubrik Lebensanfang) haben sich Kinderbibeln als Bestseller erwiesen. Immerhin, die Bibel steht in 20 verschiedenen Sprachen und in Blindenschrift im Regal. Eine Steigerung der Verkaufszahlen erhoffen sich die beiden Buchhändler auch von einem geplanten Internetauftritt zusammen mit religiösen Verlagen. Die Kunden können dann in 20 000 Titeln stöbern. Doch eines ist klar: Als christliche Buchhandlung ist Ave Maria auf das Zusatzgeschäft mit den Devotionalien angewiesen.
Das Geschäft befindet sich in der Einflugschneise zum Potsdamer Platz nicht in einer Lauflage. Doch in der Nähe sind Zeitungsredaktionen und Banken, dazu kommt der Eintrag im Reiseführer, das alles zusammen bringt mehr und mehr Kunden ins Geschäft. Ulrike Schuster bezeichnet das Geschäft dennoch als herben Existenzkampf. "Es ist ein mittleres Wunder, so etwas in Berlin ohne Kapital auf die Beine gestellt zu haben." Ihren Beruf als Lehrerin übt sie weiterhin aus und Dieter Funk sagt bescheiden: "Ich brauche nicht viel zum Leben."
Den beiden idealistischen Unternehmern ist der Spaß an ihrer Arbeit anzumerken. "Unsere Kunden sind einfach interessant," sagt Dieter Funk. "Der Stamm wächst immer mehr, aber es bedarf ganz feiner Pflege." Diese Kundenpflege setzt das Team nun auch im Laden nebenan fort. In Räumen, die zuletzt als Lager genutzt wurden, richtete es im Mai ein Literaturcafe ein: die Joseph-Roth-Diele. Für die holte sich das Team mit Caroline Mentz Verstärkung: "So ein Kollektiv gibt Kraft, auch ohne Kapital was auf die Beine zu stellen."
Der Ort, der sich mit regelmäßigen Lesungen als kultureller Treffpunkt versteht, hat Tradition. Hier war früher eine Konditorei, in der - so vermutet Roth-Verehrer Dieter Funk - der Autor während seiner Berliner Jahre an dem Roman "Das Spinnennetz" schrieb. Da dürfen Bücher nicht fehlen. Auf einem Podium werden Joseph-Roth-Titel und ein kleines Berlin-Sortiment angeboten.
Margit Lesemann Buch Markt, 01.07.2002
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Die Madonna der Friseurin
Religiöse Devotionalien kommen zurück ins Private: mit bunten Hausaltären, Blütenbildern und Weihrauch-Duft
Die blassblaue Madonna mit dem treuherzigen Augenaufschlag steht in einer goldumrandeten Grotte, aber nicht in einem Wallfahrtsort für fromme Pilger, sondern beim Friseur. Genauer gesagt im Laden von Friseurin Birgit Marczak in der Akazienstraße. "Kitsch", denkt da gleich der Rationalist unter den Zeitgenossen. Bis ihn Marczak liebenswürdig aufklärt: "Die Madonna beschützt uns, sie ist unser Talisman." Ein bisschen augenzwinkernd sagt sie es schon, fügt aber ohne Ironie hinzu: "Ein kleines Glück, das sich doch jeder wünscht."
Der Schöneberger Friseurladen ist bei weitem nicht der einzige Ort in Berlin, der sich mit einer Gips-Madonna oder großformatigen Marienbildern ausstaffiert. Aber er steht sinnfällig für eine fortschreitende Alltäglichkeit: die zwanglose Konsumtauglichkeit religiöser Symbole. Das kannte man bisher vor allem von Schwulen-Bars mit Plüsch-Ambiente. Deren Barockengel-Dekor wirkte allerdings immer wie eine ironische Spielerei. Langsam scheint sich der farbenfrohe Bilderkult wieder vorsichtig mit Inhalten zu füllen.
Die verschleierte Sehnsucht nach Religion im Alltäglichen hat in Berlin einen besonderen Lieferanten: den Devotionalien-Fachhandel "Ave Maria" in der Potsdamer Straße. Hier gibt es alles, was das zeitgenössische Christenherz begehren könnte: neben der Gipsmadonna aus dem Friseurladen Marien-Modelle in allen Farben und Größen, mal aus Marmorimitat, mal aus Alabasterstaub daneben Hausaltäre aus Südamerika, Rosenkränze und Andachtsbildchen.
Der kleine Laden ist voll gestopft, macht aber trotzdem einen lichten Eindruck. Das liegt an der himmelblauen Deckenbemalung, die vermutlich an gottgefälliges Klosterleben erinnern soll. Etwas feierlich ist dem Besucher hier ohnehin zumute, denn er wird von einem würzigen Weihrauchduft umfangen. Mehr als 20 Sorten Weihrauch stehen im Regal, darunter so ergreifende Mischungen wie "Tränen Somalias". In Tüten abgepackt sind sie für den privaten Gebrauch bestimmt.
Nicht nur Christen bedienen sich hier. Für Ulrike Schuster, Betreiberin des Geschäftes und selbst katholischen Glaubens, bietet der Laden "allen Menschen etwas, die entdecken wollen, dass Religion etwas zu tun hat mit Farbenfreude und sinnlicher Anschauung". Deswegen darf es im "Ave Maria" auch ruhig viel billiges Plastik geben. Hauptsache, es bereitet Freude. Und die steht bei dem beleuchtbaren Petersdom für 39 Mark genauso im Vordergrund wie bei den "Mutter Theresa"-Kacheln (Originalimport aus Kalkutta) zu 29 Mark das Stück. Die leidige Kitsch-Diskussion ist für Schuster ein alter Hut: "Amerikaner, Asiaten und Südeuropäer finden unser Sortiment einfach nur schön."
Die mitteleuropäischen Berliner haben schon noch ein Problem mit "Ave Maria". Ihnen ist der Umgang mit dem bunten Religionsplastik oft peinlich. Manche Kunden trauen sich kaum in den Laden und bestellen hinter vorgehaltener Hand. Schuster diagnostiziert dann "Gefühlsarmut, gerade unter Männern" und möchte korrigierend eingreifen. Sie sagt: "Wir bieten das, was in den 80ern eine Kondomerie war: eine Tabuverletzung."
Neugierde auf Religiöses
Die Neugierde auf religiöse Kleinkunst entspricht wohl einem Trend, den die Theologie schon seit einiger Zeit beobachtet. Danach wird Sinnstiftung in der heutigen Erlebnisgesellschaft mit einer "Sehnsucht nach unvermittelter, reiner Schönheit" verbunden, sagt Jörg Herrmann, Theologe an der Humboldt-Universität. Daher der Madonnenkult. Ein weiteres Phänomen sei die "Patchwork-Religiosität", die sich jeder aus den existierenden Glaubensrichtungen zu einer hausgemachten Spiritualität zusammenstelle. Eine "Ästhetisierung der Lebenswelt", sagt Herrmann, in der sich ein "religiöses Bedürfnis" ausdrücke.
Dem bunten Trend kann sich auch Heribert Baumann, Anbieter traditioneller Devotionalien, nicht mehr völlig entziehen. In seinem Wilmersdorfer Geschäft in derTrautenaustraße gibt es seit kurzem auch etwas für den christlichen Haushalt, was stilbewusst Farbenfreude und religiöse Tradition vereint: im Dunkeln leuchtende Rosenkränze.
Benedikt Nowak Berliner Zeitung, 23.12.2000
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Döner, Sex und Kruzifixe auf der Potsdamer Straße
Frischer Weihrauchduft zieht an Madonnenstatuen, Heiligenbildchen und Rosenkränzen vorbei. Mönchsstimmen vom Band intonieren gregorianische Gesänge. Im Devotionalienhandel "Ave Maria" an der Potsdamer Straße 75 treffen Katholiken und andere Gläubige auf atheistische Kitsch-Käufer. Sie begutachten Engel in allen Formen und Originalimporte aus europäischen Klöstern. Sie blättern in Bibeln aus aller Welt und anderer erbaulicher Literatur: "Wallfahren heute", "Beten für Berlin". Einige Meter weiter südlich verkauft "Harb", der arabische Groß- und Einzelhändler, Wasserpfeifen, orientalisches Konfekt und Gemüse aus dem Libanon. Schräg gegenüber, in der Fleischerei Staroske, gibt's frische Leber- und Brühwurst. Nebenan, bei "Puschel", trifft sich der halbe Kiez zum Feierabend-Bier, und an der Kreuzung Kurfürstenstraße verschwinden Männer im Dolly-Buster-Erotik-Shop. "Die Potsdamer Straße ist ein Großstadt-Kaleidoskop", sagt Devotionalienhändler Dieter Funk, der den Laden "Ave Maria" betreibt und gleich daneben auch wohnt. "Robust und realistisch", beschreibt der 46-Jährige seinen Kiez, den nördlichen Abschnitt der "Potse" zwischen Schöneberger Ufer und Kurfürstenstraße. "Kein Elendsquartier, aber auch alles andere als eine Kuschelecke. So etwas wie eine Zitterpartie. Für mich ist das einfach Berlin", sagt Funk.
Fast eine Liebeserklärung, die aber im Lärm eines vorbeidonnernden Lkw untergeht. Als Teil der "Reichsstraße Nummer Eins" zwischen Aachen und Königsberg ist die Potsdamer Straße eine traditionell wichtige Verkehrsverbindung. Damit war nach dem Bau der Mauer 1961 Schluss. "Plötzlich war die Potse eine Sackgasse", sagt Funk. Nun führt die Straße zwar wieder direkt in die neue Mitte Berlins, wird aber vor allem vom Durchgangsverkehr genutzt. "Dabei ist der Weg das Ziel. Man muss kein Buddhist sein, um das zu wissen", sagt der Devotionalienhändler.
Besonders im nördlichen Abschnitt, nur 500 Meter vom Potsdamer Platz entfernt, stehen viele Läden leer. Kein Anreiz für einen Bummel. Auch von den eleganten Wohn- und Geschäftshäusern, die die Potsdamer Straße um die Jahrhundertwende prägten, ist nach Kriegszerstörungen und Kahlschlagsanierung in den 60er-Jahren kaum etwas geblieben. "Aber zur Potse gehören immer auch Hoffnung, Sehnsucht, Visionen", sagt Dieter Funk.
Seine Entscheidung, von Neukölln an die Potse zu ziehen, fiel vor fünf Jahren und war das Ende einer Lebenskrise. Funk: "Ich stand hier an der Bushaltestelle, im Regen, es wurde dunkel." Nass glänzender Asphalt, Großstadtlichter, Menschen in Eile. "Ich weiß nicht genau warum, aber plötzlich war ich mir sicher: Das ist der richtige Ort für Ave Maria." Zusammen mit Ulrike Schuster eröffnete Funk dann den Laden und verkauft seither Boten Gottes in allen Variationen.
Die Potsdamer Straße hat aber auch elegante Seiten. Ein Beispiel: das frisch sanierte Wohn- und Geschäftshaus an der Potsdamer Straße 98 mit strahlend weißer Putzfassade und edlem Marmor im Treppenhaus.
Goldfarben prangt die Hausnummer 98 am kunstvoll geschmiedeten Tor der Einfahrt, das tagsüber offen steht. An restaurierten beziehungsweise nachgefertigten Stucksäulen vorbei gelangt der Flaneur auf eignen Kiesweg, der in den ersten von zwei idyllischen Innenhöfen führt. Ein Brunnen plätschert inmitten akkurat geschnittener Buchsbaumhecken. In Mauernischen stehen zwei antikisierende Skulpturen, ganz in Weiß.
Gleich neben dem vornehmen Wohn- und Geschäftshaus steht das nachts prächtig beleuchtete Wintergarten-Variete. Jongleure, Komiker, Trapezkünstler und Traumtänzer unterhalten dort das Publikum, das über einen roten Teppich in den Vergnügungstempel schreitet. Die Spielstätte wurde einst unter Mitwirkung von Andre Heller edel renoviert.
Hier ist die Potsdamer Straße "fast ein Boulevard", sagt Funk: "Bäume, Geschäfte und breite Gehwege, Platz für Begegnungen." Lob auch für die Blumenkübel vor den Läden, eine Initiative der Quartiermanager, die seit 1999 in Tiergarten Süd am Werk sind. Quartiermanager Lutz Sepke zur sozialen Situation im Kiez: "50 Prozent der Haushalte sind von Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung abhängig." Wichtig sei, das "soziale Rückgrat" der Straße zu stärken, also Familien mit Kindern im Kiez zu halten.
In den U-Bahn-Bögen am Ende der Pohlstraße sind ein Jugendclub und Beach-Volleyballplätze entstanden, Schulhöfe werden neu gestaltet. Auch Sepke hat eine Vision: "Die Potsdamer Straße als Lichtboulevard." Zwar sei die Straße "der Anker" für Kulturforum und Potsdamer Platz, aber als solcher zu wenig sichtbar. "Bisher ist die Potsdamer Brücke eher eine Mauer als eine wirkliche Verbindung. Eine dauerhafte Lichtinstallation an der Brücke wäre das richtige Signal."
Nachtschwärmer, Gestrandete, kleine Leute, tosender Verkehr: Der Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) war ein genauer Beobachter und viel unterwegs im Berlin der 20er-Jahre. Die Potsdamer Straße kannte er gut. "Schließlich hat er hier sogar mal gewohnt", weiß Devotionalienhändler Funk. Der ehemalige Sargausstellungsraum eines Bestattungsunternehmens, direkt neben dem "Ave Maria", ist der Ort, an dem Dieter Funk seine Vision umsetzen möchte. Die Vision heißt "Joseph-Roth-Diele" - ein Literaturcafe samt Ausstellung über das Leben des Schriftstellers und seine Entdeckungen in den Nischen der Großstadt.
Elisabeth Schwiontek Mein Kiez
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